Giulia Gwinn und Lena Lattwein: „Ohne Disziplin geht es nicht.“
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Giulia Gwinn (23) spielt beim FC Bayern, Lena Lattwein (23) beim VfL Wolfsburg. Beide haben die Meisterschaft gewonnen und mit der Nationalmannschaft letztes Jahr nur knapp den EM-Titel verpasst. Bevor im Juli die WM in Australien startet, haben wir mit ihnen über herausragende Abiturnoten und die Doppelbelastung durch Sport und Studium gesprochen.
Giulia, du hast dein Abi mit 1,7 gemacht, Lena du sogar mit 1,0 – wart ihr beide in der Schule genauso ehrgeizig wie auf dem Platz?
Giulia: Gute Noten waren mir immer wichtig – da war ich also eine Streberin (lacht). Aber zugegeben: Es gab auch Tage, an denen ich nicht ganz so artig war in der Schule.
Lena: Ich wusste damals schon, dass ich im Sport gut unterwegs war, hatte aber nie das Ziel, mit Fußball mein Geld zu verdienen – auch wenn ich mich jetzt gerade Profi nennen darf und davon leben kann. In der Studienwahl wollte ich mich nicht einschränken, daher waren mir auch die Noten wichtig. Dass es am Ende die vollen 900 Punkte geworden sind, hat mich selbst überrascht (lacht).
Ihr habt da beide schon in der Bundesliga gespielt. War die Doppelbelastung stressig?
Giulia: Es war schon eine Herausforderung, aber ich kannte es nie anders. Ich wurde von allen Seiten unterstützt, in erster Linie von meinen Eltern, die mich überall hingefahren und für mich auf vieles verzichtet haben. Dafür werde ich ihnen immer dankbar sein. Auch von meinen Trainern, Mitspielern und Lehrern gab es größtmöglichen Support.
Lena: Ich habe ein gutes Zeitmanagement und das Glück, dass ich schnell lerne. Meine Eltern haben mich eher ein bisschen gebremst, weil sie Angst hatten, dass ich es übertreibe. Jeden Abend habe ich alle Fächer für den nächsten Tag vorbereitet und dadurch so regelmäßig gelernt, dass ich vor Klassenarbeiten nur wiederholen musste. Also permanent ein bisschen und nie Bulimie-Lernen. So musste ich vor Klausuren nicht auf Fußball verzichten.
Giulia
2022: EM in England, Vize-Europameisterin
2020/21: Deutsche Meisterin
seit 2019: FC Bayern München
2019: WM in Frankreich, Auszeichnung als „Beste junge Spielerin“
2017: Debüt in der A-Nationalmannschaft
2015 – 2019: SC Freiburg, 1. Bundesliga
Was würdet ihr anderen Jugendlichen raten, die neben der Schule aufwendige Hobbys haben?
Lena: Mittlerweile weiß ich, es kommt nicht nur auf die Abiturnote an. Wichtig ist auch die Persönlichkeitsentwicklung und dazu muss man aus der Komfortzone raus. Ich bin mit 17 in die eigene Wohnung gezogen, das hat mich extrem geprägt. Einfach raus in die Welt und klarkommen. Das hat mir am Ende mehr geholfen als meine Noten in Mathe und Deutsch.
Giulia: Trotzdem: Ohne Disziplin und den echten Willen, Schule und private Leidenschaft unter einen Hut zu kriegen, geht es nicht. Es hilft, sich in schwierigen Phasen bewusst zu machen, wofür man das alles leistet und was später daraus entstehen kann. Da darf man ruhig träumen, wenn es sich auf die Motivation für die Schule positiv auswirkt.
Klingt, als wäre euer Weg ganz einfach gewesen. Gab es auch schwere Momente?
Lena: Als ich mit 17 von zu Hause ausgezogen bin, um knapp 200 Kilometer entfernt bei der TSG Hoffenheim zu spielen, war das eine extreme Veränderung in meinem Leben. Der externe Druck war größer, ich kannte erst einmal niemanden in meinem Umfeld und habe Freunde und Familie zurückgelassen. Dieser Schritt ist mir sehr schwergefallen. Da dachte ich zwischendurch, ich gebe auf und breche ab.
Hast du aber nicht.
Lena: Meine Familie war für mich da und im Endeffekt ging es einfach darum, durchzuhalten. Es ist okay, auch mal am Abend ein paar Tränen zu verdrücken. Am Ende war ich extrem stolz, dass ich diese Phase durchgestanden habe und den Ehrgeiz und Willen hatte, dranzubleiben.
Lena
2022: EM in England, Vize-Europameisterin
2021/22: DFB-Pokal- Siegerin
2021/22: Deutsche Meisterin
seit 2021: VfL Wolfsburg, 1. Bundesliga
2018: Debüt in der A-Nationalmannschaft
2017 – 2021: TSG Hoffenheim, 1. Bundesliga
Ihr habt euch beide für ein Studium entschieden. Lässt sich das mit der Bundesliga, Nationalmannschaft und Champions League vereinen?
Giulia: Vorlesungen und Klausuren sind dank Fernstudium alle online, die Skripte kommen per Post. Ich versuche, jeden Tag ein bis zwei Stunden zu lernen. Da nutze ich auch die Reisen zu Spielen oder die Zeit im Hotel. Klar, in besonders eng getakteten Wochen bleibt die Uni auch mal auf der Strecke, das hole ich dann aber in sportlich etwas entspannteren Wochen oder in den Sommerund Winterpausen nach.
Du studierst Sportmanagement – wieso ausgerechnet das?
Giulia: Ich kann mir durchaus vorstellen, nach meiner aktiven Karriere in den Management-Bereich einzusteigen. Vielleicht in einem Verein, vielleicht in einem Verband, vielleicht in einem Unternehmen mit großer Sportaffinität. Wo die Reise genau hinführt, möchte ich offenlassen. In den kommenden Jahren liegt mein Fokus erst einmal voll auf dem Fußball.
Antworten auf Fragen, die sonst niemand stellt
Familie ist mir… das Allerwichtigste - und steht immer an erster Stelle.
Meine beste Klassenfahrt… war in der fünften Klasse mit meinen damals engsten Freunden vom Bodensee.
Mein tollstes Spiel… war trotz der Niederlage definitiv das EM-Finale 2022 im Wembley- Stadion gegen England.
Mein Lieblings-Outfit… darf gerne auch mal etwas schicker sein.
An einem perfekten Sonntag... ist Heimspieltag am FC Bayern Campus bei gutem Wetter und vor einer schönen Kulisse.
Mich nervt… der ständige Vergleich mit dem Männerfußball.
Mein Vorbild ist… nicht vorhanden. Mein Motto lautet: Write your own story.
Lena, du machst nach deinem Bachelor in Wirtschaftsmathematik jetzt einen Master in Controlling.
Lena: Mich haben Zahlen schon immer begeistert, daher wollte ich in diese Richtung. Ich habe auch über Medizin nachgedacht, weil das gut zum Sport passt. Alles Naturwissenschaftliche hat mich gereizt. Weil ich aber auch Bock auf einen Job im Management eines großen Konzerns hatte, hat sich ein Studium mit Wirtschaft angeboten. Und nur Mathe war mir zu fern der Realität. Jetzt mache ich meinen Master in Controlling – und könnte mir vorstellen, in diesem Bereich auch zu arbeiten. Wie es nach dem Abschluss weitergeht, weiß ich aber noch nicht. Es ist eher unwahrscheinlich, dass ich nur Fußball spiele. Da fehlt mir die Herausforderung für den Kopf (lacht).
Antworten auf Fragen, die sonst niemand stellt
Familie ist… mein Rückhalt, mein Seelsorger und ein Ort der ausnahmslosen Geborgenheit.
Meine beste Klassenfahrt… war in der 10. Klasse an die Ardèche.
Mein tollstes Spiel… war der 4:0 Sieg in der Champions League gegen Chelsea in der Saison 21/22, der uns den Gruppensieg und den Einzug ins Viertelfinale sicherte. Wir mussten mit drei Toren Differenz gewinnen, um weiterzukommen – eine eigentlich unmögliche Aufgabe.
Mein Lieblings-Outfit… hängt ganz vom Anlass ab, von Jogger bis Blazer ist alles dabei.
An einem perfekten Sonntag... gibt es ein ausgiebiges Frühstück in der Sonne in einem schönen Café.
Mich nervt… Chaos.
Mein Vorbild… hatte ich nie.
Jetzt steht aber erst einmal die WM an. Was ist für das deutsche Team in Australien drin?
Giulia: Grundsätzlich traue ich unserem Team alles zu, das haben wir bei der EM in England bewiesen. Auch bei der WM ist das Finale das Ziel. Lena: Ich traue uns das Finale auch ganz klar zu. Und dass wir das gewinnen können.
Durch die EM in England habt ihr in Deutschland einen richtigen Hype ausgelöst. Wie nehmt ihr das wahr?
Giulia: So richtig gespürt habe ich es erst bei unserem Empfang auf dem Römer in Frankfurt. Du stehst da oben und blickst mit Gänsehaut und Freudentränen in ein schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer. In diesem Moment ahnst du: Wir haben etwas Großes in Gang gesetzt. Lena: Auch in der Bundesliga waren plötzlich unfassbar viele Zuschauer bei den Spielen, und die Security musste sogar vor unserem Bus stehen, weil so viele Fans auf uns gewartet haben. Das ist cool, ab und zu aber auch anstrengend.
Giulia, nach der EM hattest du deinen zweiten Kreuzbandriss. Wie gehst du mit solchen Rückschlägen um?
Giulia: Nach sportlichen Niederlagen fängt einen das Team auf. Das ist das Gute im Fußball: Ergebnisse feiern und verarbeiten wir immer gemeinsam. Bei schweren Verletzungen ist das zunächst etwas anders – da ist man plötzlich Einzelkämpferin. Die Mannschaft steht auf dem Platz, man selbst arbeitet alleine in der Reha. Es gibt in solchen Phasen ja den Motivations-Hashtag #Comebackstronger. Den mochte ich vor meinem ersten Kreuzbandriss gar nicht, weil ich dachte, das ist nur so dahingesagt.
Jetzt hast du deine Meinung geändert?
Giulia: Ja, mittlerweile kann ich sagen: Da ist etwas dran. Man hat Zeit, an sich selbst zu arbeiten. Wenn man drei Spiele pro Woche hat, reflektiert man sich kaum. In der Reha trainiere ich Mentalität und Kraft. Es wirkt optisch vielleicht nicht so, aber ich bin jetzt deutlich stabiler als vorher. Das wird mir für die Zukunft große Sicherheit auf dem Platz geben.
Giulia, leider bist du jetzt aber trotzdem nicht im WM-Kader. Wie schwer hat dich das getroffen?
Giulia: Rein rechnerisch war die WM-Teilnahme immer drin. Und wahrscheinlich hätte ich nicht so lange auch daran geglaubt, wenn meine Reha nicht wirklich ideal verlaufen wäre. Es klingt für Außenstehende wahrscheinlich so ein bisschen daher gesagt, aber der persönliche Austausch mit der Bundestrainerin im Vorfeld der Nominierung war immer auf Augenhöhe und von großem gegenseitigem Respekt geprägt. Vielleicht ist diese gemeinsame Vernunft-Entscheidung mit Blick in die Zukunft genau richtig.
Du bist ja noch jung und bekommst sicher noch eine Chance für ein solches Turnier. Lena, was wünscht du dir denn noch von der Zukunft – abgesehen von einer erfolgreichen WM?
Lena: Mit dem VfL Wolfsburg will ich weitere Titel holen. Durch meinen Schlüsselbeinbruch im März konnte ich leider die Saison nicht beenden. Trotzdem bin ich total stolz auf das, was ich bisher erreicht habe. Ich bin Deutsche Meisterin, Vize-Europameisterin und habe den DFB-Pokal gewonnen. Nach meinem Karriereende werde ich nochmal ganz anders darauf zurückblicken. Aber aktuell habe ich noch viele Ziele und bin nie ganz zufrieden. Vor allem beim VfL wollen wir immer mehr.
Von Laufen über Klettern bis hin zu Eishockey, Nina ist eine Sportskanone. Neben dem Sport gehört auch das Texten zu ihrer Leidenschaft. Die hat sie auch zu ihrem Beruf gemacht und ist nun als freie Texterin tätig.