Florian Aigner: „Für ein MINT-Studium muss man kein Mathe-Genie sein!“
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Der Physiker Florian Aigner hat nicht nur den Zufall wissenschaftlich erforscht. Er ist auch ein gefragter Wissenschaftsjournalist und -autor. Dabei ist ihm selbst am Anfang seines Studiums das Fach Mathematik an der Uni nicht leichtgefallen. Sein Tipp: Durchbeißen! Mit der Zeit wird es einfacher.
Herr Aigner, Sie sind Physiker, Wissenschaftsautor und Wissenschaftsredakteur an der Technischen Universität (TU) Wien. Haben Sie mit Ihrer Studienwahl
Physik also alles richtig gemacht?
Ja, ich habe meine Studienwahl nie bereut. Und ich bin mit meinem Werdegang sehr zufrieden. Aber Sie haben sicher recht, dass der von mir eingeschlagene Weg etwas ungewöhnlich ist. Üblicherweise sind Physikerinnen und Physiker entweder in der Wirtschaft oder in der Forschung tätig.
Sie haben Ihren Weg gemacht. Und generell kann man sagen: Wer ein MINT-Fach studiert, hat gute Chancen auf eine Karriere mit gutem Gehalt. Im Jahr 2021 lag das durchschnittliche Monatsbruttoeinkommen eines vollzeitbeschäftigten MINTAkademikers mit 5.900 Euro durchaus deutlich über dem Akademikerdurchschnitt. Trotzdem herrscht weiterhin ein Mangel an MINT-Studienanfängern. Liegt es an der Angst vor Mathe?
Das spielt vermutlich eine Rolle. Viele sind vorsichtig und fragen sich: ‚Soll ich mir das wirklich zutrauen?‘ Und es stimmt, dass ein MINT-Studium fordernd ist. Aber davon darf man sich nicht abschrecken lassen. Wenn ich mich an die ersten Semester meiner eigenen Studienzeit erinnere, ging es mir ähnlich. In der Schule war ich recht gut in Mathematik. Als ich dann aber Physik studierte, merkte ich schnell: Da geht es ein bisschen anders zu, das ist schon hart. Da muss man sich schon anstrengen. Aber die gute Nachricht ist: Das ist ganz normal. Und allen anderen Leuten dort geht es genauso. Man lernt schnell dazu und hilft sich gegenseitig. Deshalb möchte ich alle jungen Leute
ermuntern: Entscheidet euch ruhig für ein MINT-Studium! Durch die Mathematik muss man sich am Anfang vielleicht ein bisschen durch-beißen. Dafür wird es später viel einfacher.
Wer das Abi geschafft hat, kann auch mit Mathe an der Uni klarkommen?
Auf jeden Fall. Man muss kein Mathe-Genie sein für ein MINT-Studium. Und innerhalb des Studiums kann man ja in ganz unterschiedliche Richtungen gehen. Ich zum Beispiel habe mich für theoretische Quantenphysik entschieden, wo man richtig viel Mathe braucht. Dafür war ich nicht der Typ, der gut im Arbeiten mit Experimenten und Maschinen ist. Das Talent für den Lötkolben hatten andere Leute. Da ist in einem MINT-Studium einiges an Spielraum vorhanden.
ist promovierter Quantenphysiker. Er forschte am Institut für theoretische Physik der Technischen Universität Wien, bis er in die Wissenschaftskommunikation wechselte. Heute arbeitet er daran, Wissenschaft auf einfache, verständliche und unterhaltsame Weise zu erklären – und zwar in ganz unterschiedlichen Formaten. Unter anderem in Fernsehsendungen und Radiobeiträgen.
Was ist in Ihren Augen denn die beste Motivation für ein MINT-Studium?
Wenn man wissen will, wie die Welt funktioniert. Wenn man die Natur verstehen und wissen möchte, was sich hinter der Technik verbirgt. Also ich glaube, diese Neugierde ist das Wesentliche. Dieses ‚Ich will‘s wissen!‘. Wenn das der Antrieb ist, ist man bei den MINT-Fächern sicher richtig aufgehoben. Und die Aussicht, dass man später gute Chancen hat, überdurchschnittlich zu verdienen, ist vielleicht ein Zusatzbonus, der dann über die etwas anstrengenden Phasen hinweghilft, die es in jedem Studium natürlich auch gibt.
Ab wann haben Sie diese Neugier in Ihrem Leben gespürt?
Das hat früh angefangen bei mir. Als Teenager habe ich schon populärwissenschaftliche Physikbücher gelesen und wollte viel wissen über den Weltraum und schwarze Löcher, aber auch über Atome und kleine Teilchen. Das alles hat mich furchtbar interessiert, auch wenn ich es damals natürlich noch nicht so richtig verstanden habe.
Sie sind im Physik-Studium tief in die Materie eingestiegen. Heute haben Geisteswissenschaften nach wie vor einen weitaus größeren Zulauf von Studierenden als Naturwissenschaften. Halten Sie eine Wertung bezütlich der Studienentscheidung für zulässig? Im Sinne von: Ein MINT-Studierender hat bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und hilft der Wirtschaft mehr als noch ein weiterer Germanist?
Ich möchte die Disziplinen nicht gegeneinander ausspielen. Ich fände es schön, wenn sich mehr Leute an die MINT-Fächer heranwagen würden. Sicher bräuchte auch die Wirtschaft mehr Leute von dieser Sorte. Trotzdem sind Geisteswissenschaften oder Sozialwissenschaften nicht weniger wert oder weniger wichtig für die Gesellschaft. Grundsätzlich ist es doch so: Wenn man von etwas wirklich begeistert ist, wird man damit auch Erfolg haben – unabhängig vom Studienfach.
Kann zu einer wachsenden MINT-Begeisterung beitragen, dass die jungen Leute heute mit viel Technik aufwachsen?
Da bin ich nicht sicher. Wenn ich durch Instagram scrolle, habe ich ja nicht das Gefühl, etwas Technisches zu tun. Andererseits gibt es natürlich Leute, die dann hinter die Fassade schauen möchten und beispielsweise schon während der Schulzeit eigene Apps entwickeln. Neue Technologien bieten natürlich tolle Möglichkeiten, dieses technisch-naturwissenschaftliche Denken zu trainieren. Aber auch hier bitte Vorsicht: Es ist überhaupt keine Voraussetzung, mit 14 Jahren eine eigene App programmiert zu haben, um später ein MINT-Studium aufzunehmen.
Was ist für Sie die Kernkompetenz, die Studierende in einem MINT-Fach lernen?
Sicherlich die Fähigkeit, selbstständig Probleme zu lösen. Im Studium lernt man die Grundlagen dafür, die dann später in ganz unterschiedlichen beruflichen Feldern angewandt werden können. Das erklärt auch, warum Physiker zum Beispiel für Banken oder Versicherungsunternehmen arbeiten. Die mathematische Basis dafür haben sie drauf. Die können sie dann in ganz verschiedenen Bereichen einsetzen.
Und die Fähigkeit, selbstständig Probleme zu lösen, wird auch in Zeiten von Künstlicher Intelligenz weiterhin gebraucht?
Davon bin ich überzeugt. Denn mit KI kann ja nur derjenige gewinnbringend arbeiten, der ein gutes Verständnis von der Materie hat. Wenn das der Fall ist, können KI-Tools für Menschen ein zusätzlicher Booster sein, der sie viel effizienter arbeiten lässt. Je mehr Wissen ich selber habe, umso mehr nützt mir auch die Künstliche Intelligenz.
Ist es bei der Studienwahl für die spätere Berufstätigkeit schon entscheidend, für welche Richtung man sich entscheidet? Breit angelegten Studiengängen wie Mathematik und Physik stehen spezialisierte Fächer wie Umweltingenieurswesen, Digital Help oder Business Intelligence gegenüber.
Das ist eine Charakterfrage. In den spezialisierten Fächern werden ebenfalls wichtige Grundlagen vermittelt. Wie früh man sich spezialisieren will, muss man selbst entscheiden. Bei mir war es einfach so, dass ich mit 18 Jahren noch nicht wusste, in welche Richtung ich genau gehen möchte. Deshalb hat sich das Physik-Studium als besonders breite Ausbildung mit vielen beruflichen Möglichkeiten für mich angeboten.
„Ich zum Beispiel habe mich für theoretische Quantenphysik entschieden, wo man richtig viel Mathe braucht. Dafür war ich nicht der Typ, der gut im Arbeiten mit Maschinen ist. Das Talent für den Lötkolben hatten die anderen."
Florian Aigner, Physiker und Wissenschaftsjournalist.
Ich möchte auf ein Forschungsgebiet von Ihnen zu sprechen kommen. Sie haben ein Buch über den Zufall geschrieben. Wie viel Zufall steckt in unserer Studien- und Berufswahl?
Tatsächlich sehr viel, denke ich. Ich zum Beispiel hatte einen Onkel, der im MINT-Bereich tätig war und der mir diesbezüglich einiges an Impulsen mitgegeben hat. Bei mir war es also familiäre Prägung. Aber es gibt natürlich auch ganz andere Zufälle, von denen wir beeinflusst werden. Vielleicht hat man in einem bestimmten Fach einen besonders tollen Lehrer oder eine besonders tolle Lehrerin. Oder man stolpert etwa über eine Youtube-Doku, von der man sagt: ‚Wow, das ist cool! Darüber möchte ich mehr wissen.‘ Es gibt viele Möglichkeiten, durch puren Zufall in eine bestimmte Richtung geschoben zu werden. Aber: Diesen Zufällen muss man halt auch ihre Chance geben!
Sie haben mal gesagt, man könne gar nicht genug Klaviere zu Hause haben. Hat Musik denn auch mit MINT zu tun?
Ich bin nicht sicher. Aber es ist mir immer wieder aufgefallen, dass es in der Physik erstaunlich viele Leute gibt, die auch musikalisch sind. Ich weiß nicht, warum das so ist. Ich spiele bis heute gern Klavier und sehe das ein bisschen als Ausgleich zum Naturwissenschaftlichen. Es ergänzt sich ganz hervorragend.
Als kleiner Junge schrieb Tobi schon Gedichte, Lieder und Geschichten. Da er es mit seinen Songs jedoch nicht auf die Bühne schaffte, war für ihn klar: "Ich werde mein Geld damit verdienen, Texte zu schreiben." Thematisch hat der dreifache Vater dabei schon über fast alles geschrieben.